Der klügste Mann, der je in Harvard studiert hat, war bei der Einschreibung 11 Jahre alt – hier ist der traurige Grund, warum nur wenigen von ihm gehört haben

Etwas Seltsames geht in Harvard vor. Ein 11-jähriger Junge spricht vor einem großen Publikum – und er wird sehr ernst genommen. Er spricht über komplexe Mathematik und seine Worte begeistern die Leute im Publikum, die alle viele Jahrzehnte älter sind als er. Nein, er ist definitiv kein normales Kind. Aber wer ist er? Es wird sogar angenommen, dass er klüger als Einstein ist. Wieso haben wir seinen Namen dann noch nie gehört?

Dieser Junge war William Sidis – der Sohn eines Psychologen und einer Ärztin. Und für eine Weile sah es so aus, als würde er wahre Größe erreichen. Berichten zufolge konnte er mit acht Jahren mehrere Sprachen sprechen, darunter eine von ihm selbst erfundene. In Mathematik war er jedoch wirklich hervorragend. Sidis hat durch sein bemerkenswertes Talent sogar Geschichte geschrieben.

Mit nur 11 Jahren war Sidis die jüngste Person, die jemals in die Harvard University eingetreten ist. Nicht irgendein College, sondern wohl das prestigeträchtigste von allen – eine beachtliche Leistung. Die Gleise waren also gestellt, damit das Wunderkind zu einem unglaublichen Mann heranwachsen konnte. Aber irgendwo auf der Strecke ging etwas sehr schief.

Obwohl es schwer ist, solide Fakten zu finden, glauben viele, dass Sidis einen weitaus höheren IQ als Albert Einstein hatte. Er war also sicherlich für etwas Großes bestimmt? Aber ein kurzer Blick in Geschichtsbücher bestätigt die seltsame Wahrheit: Dieses Genie hat nie sein volles Potenzial erreicht. Und da muss man sich fragen: Was ist passiert?

Immerhin hatte Sidis viel Unterstützung – zumindest als Kind. Er wurde 1898 in New York geboren. Seine Eltern waren beide wegen Verfolgung geflohen. Seine Mutter Sarah war in den 1880er-Jahren einer Reihe religiöser Säuberungen in Russland entkommen, während sein Vater Boris vor politisch motivierter Unterdrückung geflohen war, um sich in den USA niederzulassen. Doch trotz ihrer turbulenten Vergangenheit – oder gerade deswegen – hatte das Paar große Träume für ihren kleinen Sohn.

"Sie glaubten, dass man ein Genie erziehen könnte", sagte Amy Wallace, die eine Biografie über Sidis schrieb, 2011 gegenüber NPR. Also machten sich Boris und Sarah daran, ihren Sohn zu einem Wunderkind zu erziehen. Und während Sidis noch in der Krippe lag, war er anscheinend schon auf dem Weg, die englische Sprache zu beherrschen. Das muss seine Eltern sichrlich erfreut haben.

Boris glaubte, dass die ersten Jahre der Entwicklung eines Kindes der Schlüssel waren. In seinem 1911 erschienenen Buch "Philistine and Genius" schrieb er: "Wir können in dieser frühen Zeit eine Liebe zum Wissen wecken, die das ganze Leben lang bestehen bleibt." Jetzt, da er einen eigenen Sohn hatte, machte er sich daran, diese Theorie zu testen. Aber hat der kleine Junge es bewiesen?

Anfangs sah es gut aus. Im zarten Alter von fünf Jahren soll Sidis eine eigene Formel zur Berechnung der Wochentage für die gesamte Geschichte erfunden haben. Laut The New York Times schrieb er auch ein Lehrbuch über Anatomie. Das amerikanische Bildungssystem? Das war kaum eine Herausforderung für das junge Genie.

Rund sechs Monate brauchte Sidis für ein Studium, das eigentlich sieben Jahre dauern sollte. Und wie sein Vater, der polyglott war, erwies sich der Junge besonders begabt in Linguistik. Als er acht Jahre alt war, konnte er angeblich acht Sprachen sprechen. Wirklich unglaublich! Da fragt man sich, warum wir noch nie von ihm gehört haben...

Im Gespräch mit NPR erklärte Wallace: "Eine Sache, die im Vergleich zu anderen Wunderkindern sehr ungewöhnlich an [Sidis] war, [ist], dass nur sehr wenige Wunderkinder mehrere Fähigkeiten haben." Aber der Junge schien sich diesem Trend zu widersetzen. Er kombinierte akademische Fähigkeiten mit einem Talent für Poesie und politische Theorie. Und Boris war sich sicher, dass es nur einen Ort gibt, der das Genie seines Sohnes schätzen würde.

Als Sidis erst neun Jahre alt war, versuchte sein Vater ihn an der Harvard University einzuschreiben. Vernünftigerweise weigerte sich die Institution, ihn aufzunehmen mit der Begründung, dass er nicht die emotionale Reife hatte, um die Herausforderung zu meistern. Hätte Boris diesen Rat beherzigt, hätte diese traurige Geschichte vielleicht ganz anders geendet.

Stattdessen wartete Boris nur zwei Jahre, bevor er seinen Sohn nach Harvard zurückschickte. Und diesmal war er erfolgreich. 1909 wurde Sidis der jüngste Neuling, den das College je gesehen hatte – ein Rekord, den er bis heute hält. Warum wird sein Name nicht neben anderen berühmten Alumni erwähnt?

Wenn man Berichten Glauben schenken darf, hatte Sidis einen erstaunlich hohen IQ. Einigen zufolge hatte er einen IQ von 300 – höher als der von Albert Einstein. In seinem Buch "Psychology for the Millions" aus dem Jahr 1946 schrieb Abraham Sperling über Sidis: "Sein [IQ]-Wert war der höchste, der jemals erreicht wurde." Sidis sollte dann doch so berühmt wie Einstein sein?

Wenn der IQ-Wert von Sidis korrekt ist, wäre er schlauer gewesen als Stephen Hawking und Isaac Newton. Berichte aus seinen frühen Jahren am College deuten sicherlich darauf hin, dass er auf dem Weg war, ein großer Denker zu werden. Und 1910 – im Alter von gerade einmal 11 Jahren – hielt er einen Vortrag vor dem Harvard Mathematical Club.

An diesem Tag stand Sidis vor einer großen Gruppe Studenten und Professoren. Er war dort, um über das hochtechnische mathematische Konzept von vierdimensionalen Körpern zu sprechen. Wir sind genauso ratlos wie du! Doch nicht alle waren von dem komplexen Thema verblüfft. Im Publikum war nämlich ein Mann, der sich auskannte. Dieser Mann war Daniel Comstock – ein Physiker an der Fakultät des Massachusetts Institute of Technology.

Laut Wallaces Biografie aus dem Jahr 1986 war Comstock von dem Vortrag des Jungen so beeindruckt, dass er eine kühne Prophezeiung über seine Zukunft machte. Er sagte: "Ich sage voraus, dass der junge Sidis ein großartiger astronomischer Mathematiker sein wird. Er wird neue Theorien entwickeln und neue Methoden zur Berechnung astronomischer Phänomene erfinden. Ich glaube, dass er in Zukunft ein großartiger Mathematiker und führend in dieser Wissenschaft sein wird." Und Comstock wusste, wovon er sprach. Wie konnte er dann so falschliegen?

Dass ein elfjähriges Kind so viel Lob erhalten konnte, war natürlich eine große Neuigkeit und bald hatte die Presse die Geschichte von Harvards jungem Genie aufgegriffen. Es war der Beginn einer Medienbesessenheit von Sidis, die für den Rest seines Lebens anhalten sollte. Doch obwohl Sidis schnell zum Liebling der Zeitungen wurde, war er bei seinen Kommilitonen nicht so beliebt.

Laut der Geschichtswebsite American Heritage besuchte der renommierte Architekt Buckminster Fuller zur gleichen Zeit Harvard wie Sidis. Er sagte über den Jungen: "Die meisten Studenten hielten ihn für einen Freak. Er war 16, als ich ihn kennenlernte, aber seine Eltern schickten ihn immer noch gekleidet wie einen 12-jährigen zur Schule. Damals zog ein Junge mit 14 automatisch lange Hosen an, aber Willy Sidis trug immer noch Little Lord Fauntleroy kurze Hosen und hochgeknöpfte Schuhe." Es war also offensichtlich, dass Sidis Mühe hatte, sich anzupassen

Trotzdem waren sich auch die Kommilitonen von Sidis sicher, dass er Großes leisten würde. Da muss man sich fragen: Warum sind diese Errungenschaften nie zustande gekommen? Nun, es gibt einen frühen Hinweis auf das traurige Schicksal des Genies. Und es ist in der bizarren Rede zu finden, die er nach seinem Abschluss 1914 vor Reportern hielt.

"Ich möchte das perfekte Leben leben", soll Sidis gesagt haben. Soweit so passend für jemanden mit seinem schillernden Intellekt. Aber dann wurde es seltsam. Er fuhr fort: "Die einzige Art, das perfekte Leben zu leben, ist, es in Einsamkeit zu leben. Ich habe Menschenmengen schon immer gehasst." War dieser vielversprechende junge Mann bereit aus der Gesellschaft auszusteigen, bevor seine Karriere überhaupt begonnen hatte?

Die Rede war nicht der einzige Hinweis darauf, dass Sidis ein ungewöhnliches Leben bevorstehen würde. Berichten zufolge hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits den Frauen und der Ehe abgeschworen und behauptete, die gesamte Idee nicht zu mögen. War das vielleicht ein Überbleibsel des Misstrauens seiner Kommilitonen in Harvard? Und würde es helfen zu erklären, warum er später verschwand?

Nach dem Abschluss nahm die akademische Karriere von Sidis einige unerwartete Wendungen. Nach seiner Promotion in Mathematik wechselte er an die Rice University in Texas, nachdem er in Harvard angeblich körperliche Drohungen erhalten hatte. Dort nahm er im Alter von gerade einmal 17 Jahren eine Stelle an und lehrte viel ältere Studenten Trigonometrie und Geometrie. Und das lief - vielleicht voraussehbar - nicht so gut.

Ja, innerhalb eines Jahres hatte Sidis den Job aufgegeben und war nach Harvard zurückgekehrt, wo er seinen Doktortitel aufgab und sich stattdessen an der juristischen Fakultät einschrieb. Doch obwohl sich der junge Mann dort – wie überall – ausgezeichnet machte, brach er 1919 endgültig ab. Warum scheiterte er, wenn es für das junge Genie so vielversprechend aussah?

Zu diesem Zeitpunkt schlug Sidis einen komplett anderen Lebensweg ein als den, den sein Vater geplant hatte. Im selben Jahr brach er sein Jurastudium ab und wurde wegen seiner Teilnahme an einer sozialistischen Demonstration verhaftet. Angeblich schrie er die Parole: "Zur Hölle mit der amerikanischen Flagge". Huch.

Aufgrund des früheren Ruhms von Sidis wurde sein Konflikt mit dem Gesetz von der Presse ausführlich verfolgt. Und während des Prozesses wurden seine persönlichen Überzeugungen und Ideen offengelegt. Offenbar behauptete er, ein Pazifist und Sozialist zu sein, der die Bewegung hinter der russischen Revolution unterstützte. Im Amerika nach dem Ersten Weltkrieg wurde dies nicht gerade gut aufgenommen.

Wieder einmal trat Boris ein, um das Leben seines Sohnes zu ändern. Ursprünglich zu 18 Monaten Haft verurteilt, wurde Sidis Bewährung unter der Bedingung gewährt, dass er psychologische Hilfe in Anspruch nahm. Aber er wurde nicht in eine Institution geschickt. Stattdessen brachte ihn sein Vater in seine eigene Einrichtung in New Hampshire. Wenn Boris jedoch gehofft hatte, seinen Sohn auf einen traditionelleren Weg zurückzubringen, ging sein Versuch schrecklich schief.

Anscheinend beschrieb Sidis später seine Erfahrung im Sanatorium seines Vaters als "geistige Folter". Und als er 1921 schließlich entlassen wurde, schien er entschlossen, ein Leben ohne den Einfluss seiner überheblichen Eltern zu führen.

Sidis begann aktiv ein Leben in Abgeschiedenheit zu führen, weit entfernt von der Medienaufmerksamkeit, die sein frühes Leben geprägt hatte. Er brach sein Studium vollständig ab und nahm eine Reihe von Aushilfsjob an, um nicht aufzufallen. Und zumindest für eine Weile hat es funktioniert.

Aber Sidis' frühreifes Talent war so vielversprechend – und seine Geschichte so interessant – dass die Welt ihn einfach nicht in Ruhe lassen wollte. Im Jahr 1924 verfolgte ein Reporter den jungen Mann zur Wall Street in New York City, wo er als Rechenmaschinenbediener arbeitete. Er verdiente nur 23 Dollar die Woche.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Sidis anscheinend von seinen Eltern distanziert, die ihn auf so seltsame Weise erzogen hatten. Aber obwohl er sich nach Anonymität sehnte, konnte er auf das akademische Leben nicht ganz verzichten. 1925 veröffentlichte er "The Animate and the Inanimate" – eine Theorie über den Kosmos und wie biologisches Leben entstand.

Trotz seiner kühnen Konzepte wurde dieses Werk damals weitgehend ignoriert. Tatsächlich wurde es erst Jahrzehnte nach Sidis' Tod wiederentdeckt. War diese Ablehnung der letzte Tropfen, der das Genie noch tiefer in Vergessenheit trieb? Danach begann er, seine Arbeiten unter Pseudonymen zu veröffentlichen, um seine wahre Identität zu verbergen.

Aus diesem Grund wissen Experten nicht genau, wie viele Texte Sidis zu seinen Lebzeiten geschrieben hat. Aber wir kennen mindestens zwei Werke, die seinem großen Geist zugeschrieben werden. Einer mit dem Titel "The Tribes and the States" behauptet, eine alternative Geschichte der amerikanischen Ureinwohner anzubieten. Der andere ist überraschenderweise noch seltsamer.

"Notes on the Collection of Transfers", 1925 unter dem Pseudonym Frank Folupa veröffentlicht, konzentriert sich auf eine der ungewöhnlicheren Obsessionen von Sidis: Straßenbahnwagen. Im Wesentlichen ist der Text eine Zusammenstellung von Wissenswertem und Fakten, begleitet von Gedichten und kindlichen Witzen. Kaum die Art von Arbeit, die man von einem Mann erwarten würden, der die akademische Welt im Sturm erobern sollte! Aber einigen zufolge gibt es immer noch eine Reihe von verlorenen Sidis-Texten. Wer weiß, welche Offenbarungen sie enthalten könnten?

Sidis lebte jedoch weiterhin in Abgeschiedenheit. Manchmal rutschte er aus und enthüllte versehentlich seine Intelligenz, aber wenn das passierte, ging er einfach weiter, bevor das Scheinwerferlicht ihn wieder ins Visier bekam.

1937 erschien dann ein Artikel im The New Yorker. Offenbar hatte es ein Reporter geschafft, sich mit Sidis anzufreunden, und er gestand ihm angeblich: "Der bloße Anblick einer mathematischen Formel macht mich körperlich krank." Und als er gefragt wurde, wieso er den Erwartungen nicht gerecht wurde, antwortete er trocken: "Es ist seltsam, aber ich wurde als Aprilscherz geboren."

Als der Artikel herauskam, war Sidis unzufrieden damit, wie er dargestellt wurde – ein trauriger, einsamer Mann, der in Boston ein langweiliges Dasein fristete. Das führte dazu, dass er das Magazin wegen Verletzung der Privatsphäre verklagte. Laut Wallace beschwerte sich das eigensinnige Genie, dass der Artikel ihm "schwere seelische Qualen [und] Demütigung" bereitet habe.

Damals wies das Gericht den Fall ab, da es nicht in der Lage war, eine Person vor den Medien zu schützen. Und wieder stand Sidis im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit – einem Ort, an dem er nie sein wollte. Aber trotz seiner Versuche zu beweisen, dass er nicht mehr das Genie war, das sein Vater geschaffen hatte, blieb die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihn gerichtet.

Schließlich gewann Sidis 1944 seine Klage gegen The New Yorker. Zu diesem Zeitpunkt hatte er wieder verschiedene Aushilfsjobs, darunter eine Stelle als Angestellter im State Department of Unemployment Compensation. Dann, im Juli desselben Jahres, erlitt er eine Gehirnblutung – dasselbe tragische Schicksal, das seinen Vater zwei Jahrzehnte zuvor ereilt hatte.

Leider erholte sich Sidis nicht und starb im Alter von nur 46 Jahren in Boston. Für jemanden, der so viel Potenzial gezeigt hatte, war es ein ziemlich gewöhnliches Ende. Und obwohl das einstige Knabengenie den höchsten IQ aller Zeiten hatte, wird sein Name heute kaum noch ausgesprochen. Ironischerweise hat er im Tod die Anonymität gefunden, nach der er den größten Teil seines kurzen Lebens gesucht hatte.